Interview: Was beschäftigt Nachwuchspolitiker, was treibt sie um, wie stehen sie zur Mutterpartei?

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Talentiertes Jungpolitiker-Trio (von links): David Schneider (Jusos), Steffen Funck (JU), Christian Grimm (Julis)

Steffen Gierescher und Michael Schmid haben die Köpfe der Jugendorganisationen vor Ort gefragt: David Schneider (Jusos), Steffen Funck (Junge Union), und Christian Grimm (Junge Liberale).

Gleich zum aktuellen politischen Geschehen. Was sagen Sie zum Rücktritt von Bundespräsident Köhler?

Schneider: Ich bedauere das. Ich habe seine überparteiliche Amtsführung geschätzt, er hat seine Rolle offensiv interpretiert. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass er mit der Kritik, die sicher überzogen war, besser umgehen kann.

Grimm: Ich bedauere auch, dass eine scharf geführte Diskussion zu seinem Rücktritt geführt hat. Es wird schwer, einen Nachfolger zu finden. Köhler ist immer respektvoll mit dem Amt umgegangen.

Funck: Seine Äußerungen wurden politisch ausgeschlachtet. Ich habe ihn für einen sehr guten und unabhängigen Bundespräsidenten gehalten. Diese Konsequenz zu ziehen, verdient Respekt.

Horst Köhler zu Helmut Kohl. Herr Schneider, zum 80. des Altkanzlers
hat ihm die JU vor seinem Bungalow ein Ständchen gesungen. Wäre so eine Aktion auch für die Jusos denkbar, etwa 2014 zum 70. Geburtstag von Gerhard Schröder?

Schneider: Schwer vorstellbar.

Warum?

Schneider: Weil er als Kanzler viele Dinge gemacht hat, die uns als Jusos nicht gepasst haben.

Zum Beispiel?

Schneider: Die Agenda 2010 ist eine Geschichte gewesen, die bitter zu verkraften war, wie die Wahlergebnisse gezeigt haben. Insofern ist der Kurs von Parteichef Sigmar Gabriel, da Korrekturen vorzunehmen, genau richtig.

Herr Grimm, würden die Julis Guido Westerwelle ein Ständchen singen?

Grimm: Ich glaube nicht.

Aha, und warum nicht?

Grimm: Wir stehen unserer Mutterpartei kritisch gegenüber: mal positiv, mal negativ. Eine Verehrung einer Person gibt es nicht. Unser Selbstverständnis ist es, programmatischer Antreiber zu sein und eigene Positionen einzubringen.

Herr Funck, warum diese Geste der JU vor Kohls Bungalow?

Funck: Kohl ist die Person in der CDU, die am geschichtlichen Maßstab gemessen am meisten geleistet hat, am meisten darstellt und repräsentiert. Man weiß in der jungen Generation, selbst wenn man nicht alles miterlebt hat, dass das Land ihm viel verdankt. Von daher stellt sich natürlich schon die Frage, wem man denn sonst ein Ständchen singen sollte, wenn nicht ihm. Wir wollten ihm eine Freude machen, ihm zeigen, dass wir hinter ihm stehen – abseits irgendwelcher Heldenverehrung.

Hoffnungsträgerin der rheinlandpfälzischen CDU ist Julia Klöckner, Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2011. Was halten Sie von ihr?

Funck: Sie ist mit 37 ja gerade erst der JU-Altersgrenze von 35 entschwunden. Insofern hat sie noch einen engen Bezug zu uns …

... und sich zuletzt in Ludwigshafen darüber beschwert, dass JU-Mitglieder sie gesiezt haben ...

Funck: Das war bei einer Rede unseres Landtagskandidaten Christian Beilmann. Er tat es auf dem Podium aus Höflichkeit, aber intern duzt man sich.

Wie stehen Klöckners Chancen?

Funck: Wenn sie es nicht schafft, wer dann?

Das sehen Sie gewiss anders, Herr Schneider, oder?

Schneider: Klar. Die Landesregierung hat eine gute Bilanz. Wir haben hier mit Anke Simon und Günther Ramsauer gute Kandidaten. Wir gewinnen den Wahlkreis und werden hier stärkste Fraktion.

Herr Grimm, SPD oder CDU – mit wem sollen‘s die Liberalen denn 2011 in Mainz machen?

Grimm: Man sollte sich beide Optionen offen halten. Es gibt Schnittmengen mit beiden Parteien.

Die da wären?

Grimm: Im Bildungsbereich sind wir mit der CDU auf einer Linie, im sozialen Bereich eher mit der SPD.

Die FDP steckt derzeit im Stimmungstief. Enttäuscht Sie die kurze Halbwertszeit des Erfolgs?

Grimm: Momentan versuchen wir, das Ganze zu analysieren und die Gründe zu finden.

Klingt ratlos. Könnte ein Grund sein, dass ein Außenminister nicht gleichzeitig ein Top-Parteichef sein kann?

Grimm: Das könnte ein Grund sein.

Schauen wir nach Ludwigshafen. Wo liegen hier die größten Probleme
aus ihrer Sicht?

Grimm: Es sind viel zu wenig Angebote da für Jugendliche. Sei es kulturell, sei es in Bildungsfragen – es passiert einfach zu wenig. Wir fragen uns als Julis, wie wir das ein Stück weit auffangen können.

Und, wie geht das?

Grimm: Zum Beispiel haben wir im Sommer geplant, eine Grillstätte im Mannheimer Luisenpark zu mieten und dort einen Mix aus einem lockeren Treffen mit kleinem politischen Background anzubieten, Angenehmes mit Nützlichem zu verbinden.

Schneider: Für mich ist das größte Problem der Sanierungsstau an Schulen sowie deren EDV-Ausstattung. Wir müssen uns auch Gedanken für neue Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung machen. Es gibt kaum Räume, die man in einer gewissen Preiskategorie anmieten kann. Und der Öffentliche Nahverkehr muss in der Qualität bestehen bleiben, wie er aktuell ist. Junge Leute sind darauf angewiesen.

Funck: Mein größtes Problem sind das Haushaltsdefizit und der Schuldenberg. Verbunden damit sind das Stadt-Image und deren Attraktivität. Darum geht es letztlich, darunter kann man alles subsummieren. Das Defizit bindet uns die Hände. Wenn sich die Politik auf kommunaler Ebene nicht ihre Handlungsfähigkeit zurückholt, bringen alle guten Ideen nichts, weil sie nicht bezahlbar sind.

Oder sie dürfen wenig kosten.

Funck: Das ist aber selten der Fall.

Viel kosten wird die Rhein-Galerie: 220 Millionen Euro buttert Investor ECE in den Bau. Wird das ein Erfolg?

Funck: Das wird ein Riesenfortschritt für die Innenstadt. Diese geht ja seit Jahren den Bach runter. Geschäfte machen zu, unabhängig davon, ob irgendwo eine Rhein-Galerie steht. Die Galerie hat ein Alleinstellungsmerkmal und ist deshalb die einzige Chance, überhaupt einen Trend zu setzen. Es gibt keine Argumente gegen ein solches Einkaufszentrum, das eine tolle Lage hat und Arbeitsplätze schafft.

Schneider: Ja, die Rhein-Galerie ist eine riesengroße Chance.

Grimm: Das sehe ich auch so.

Herr Schneider, wie kommt ein junger Mann wie Sie zur Politik?

Schneider: Ich bin über meine Schwester zu den Jusos gestoßen. In die Partei bin ich eingetreten, als ich gemerkt habe, dass die Positionen der SPD meinen eigenen großteils entsprechen. Ich bin nicht mit allem einverstanden, aber ich glaube, dass die SPD es am ehesten schafft, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, vor allem für Bildungsgerechtigkeit. Dass jeder, egal aus welchem Elternhaus er kommt, die gleiche Chance hat, aus seinem Leben etwas zu machen.

Herr Funck, sagen da die Kumpels nicht mal, tickst Du noch richtig?

Funck: Ich habe alle in die JU geholt. Na ja, nicht alle, aber einige. Ich bin mit 14 frühestmöglich eingetreten und habe vorher schon mit den Hufen gescharrt. Ich komme aus einer katholischen Familie. Der Krieg im Irak oder Themen wie die Kernenergie, damals im Wahlkampf 1998, haben mich früh beschäftigt. Dazu trug auch mein naturwissenschaftliches Interesse bei. Zu all‘ diesen Themen habe ich eine Meinung gehabt, die nicht alle teilen. Man schaut sich dann nach Gleichgesinnten um.

Wie war‘s bei Ihnen, Herr Grimm?

Grimm: Das politische Interesse wurde geweckt, als ich in der Auszubildendenvertretung war. Da habe ich ein Faible fürs Mitmischen bekommen. Vor Jahren gab es im Internet zudem eine Initiative. Wir haben versucht, eine neue Partei zu etablieren, ein wilder Mix aus liberalen, sozialen und säkularen Ansätzen. Doch das ist im Sand verlaufen. Dann habe ich mir die Programme der Jugendorganisationen angeschaut und hatte bei den Julis den Eindruck, dass man hier am freiesten seine Ziele einbringen kann.

Jugendorganisation haben oft ihren Ruf weg. JU‘ler – das sind die strebsamen Pullunderträger. Jusos – das sind die linken Sozialromantiker. Und Julis – das sind die verhätschelten Beamtensöhne? Stimmt das so?

Funck: Ganz abwegig ist das nicht, jedes Gerücht kommt irgendwo her. Oberflächlich betrachtet gibt es Klischees, die erfüllt werden.

Sind Sie konservativ?

Funck: Nein. Wobei das ein sehr diffuser Begriff ist.

Sind Sie ein kopflastiger Mensch?

Funck: Ja, das sicherlich.

Machen Sie auch mal einen drauf, oder lesen Sie lieber ein Buch?

Funck: Das gibt mir beides etwas. Wenn man kopflastig ist, braucht man ja auch geistiges Futter. Andererseits braucht man auch Abwechslung und muss mal raus. Ein Stubenhocker bin ich jedenfalls nicht, aber auch keiner, der jede Woche zwei, drei Mal blau durch die Stadt fällt.

Und Sie, Herr Schneider?

Schneider: Ich würde mich als linkspragmatisch bezeichnen. Der ganze Verband ist ein linker Richtungsverband, ganz klar. Ich glaube, die Jusos müssen darauf achten, wie es den Menschen vor Ort geht. Und dass sie bei allen theoretischen Debatten, die an der einen oder anderen Stelle notwendig sind, nicht die Realpolitik vergessen. Wir müssen schauen, wie wir die sich verändernde Gesellschaft und die Ökonomie so gestalten, dass keiner hinten herunterfällt.

Herr Grimm, wie sehen Sie sich?

Grimm: Ich passe nicht so recht ins Klischee und ordne mich eher in der sozialliberalen Ecke ein. Bei aller Liebe zum Liberalismus darf man nicht vergessen, dass es eine soziale Absicherung braucht. Diesen Spagat hinzukriegen, das ist wichtig.

Da liegen Sie ja ganz auf der Linie des neuen FDP-Stars, Generalsekretär Christian Lindner. Kann es sein, dass der derzeit mehr Anhänger hat als Parteichef Westerwelle?

Grimm: Unter den Julis sicher.

Themawechsel. Werden Jugendorganisationen von Mutterparteien als Wahlkampftruppen missbraucht?

Funck: Nein. Das kann ich beweisen.

Wir sind gespannt.

Funck: Wir konzentrieren uns zwar auf den Wahlkampf, und das ist auch richtig so, aber lassen darüber hinaus nicht nach. Die Jusos waren lange nur eine Wahlkampftruppe.

Schneider: Da widerspreche ich.

Funck: Punkt zwei ist: Mit Christian Beilmann, Theresa Lohse und Torbjörn Jagodzinski sitzen drei JU‘ler im Stadtrat, weitere sitzen in Ausschüssen und Parteigremien. Wir haben uns innerparteilich durchgesetzt. Wir sind eine absolut ernste Größe in der CDU.

Bei der SPD gab es einen Verjüngungsprozess, das gefällt nicht jedem.

Schneider: Im neuen Stadtverbandsvorstand sind von elf Mitgliedern vier im Juso-Alter, also über 25 Prozent, drei davon sind bei uns aktiv. Der Generationswechsel wurde auch von älteren Genossen begrüßt.

Der FDP-Fraktion im Stadtrat gehören viele alte Männer an.

Grimm: Das stimmt.

Tut sich was in Sachen Verjüngung?

Grimm: Zwar gibt‘s uns hier erst wieder seit Oktober, davor war jahrelang Sendepause, aber auf der Ebene der Ortsverbände haben wir junge Mitglieder, die sich einbringen. Wir sitzen mit drei Leuten im Kreisvorstand und haben je einen Juli im Sozial- und Partnerschaftsausschuss der Stadt.

Können Sie sich vorstellen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen?

Funck: Wir haben die Julis nach der Bundestagswahl zur Koalitionsparty eingeladen.

Schneider: Da war ich ausnahmsweise nicht dabei. Aber im Ernst: Es wird ja schon länger über einen Ring politischer Jugend gesprochen. Das sollte man noch einmal in Angriff nehmen. Als Diskussionsplattform, um jungen Leuten zu zeigen, welche Partizipationsformen Politik bietet.

Funck: Ich finde, man soll da keine zusätzlichen Strukturen schaffen, wo sie nicht notwendig sind. Nachher wird überall nur geredet und nirgendwo läuft was. Man kann ja projektbezogen einladen.

Schneider: Ich stimme dir im Grundsatz zu, aber es gibt zwei wichtige Gründe für einen politischen Jugendring. Erstens gibt es für die Jugendorganisationen dort die Möglichkeit, an Geld zu kommen.

Funck: Das ist kein Argument.

Schneider: Vielleicht kriegt die JU ja auch öfter Spenden.

Funck: Keinen Cent von der Partei.

Schneider: Der zweite und wichtigere Grund für einen politischen Jugendring ist der, dass es mit einer unabhängigen Organisation einfacher ist, Schulen für ein Forum zu gewinnen. Anders kommen wir da nicht ran.

Funck: Das geht alles auch ohne einen Ring politischer Jugend.

Was denken Sie, Herr Grimm?

Grimm: Ich halte David Schneiders Argumentation für stichhaltig, weil es manchmal mehr Sinn ergibt, gemeinsam Projekte anzugehen. Das wirkt neutraler.

Funck: Dem widerspreche ich. Das ist alles auch in einer projektbezogenen Kooperation möglich.

Schneider: Ich hätte mir beim Thema Rheinstrand gewünscht, mehr Unterstützung von anderen Jugendorganisationen zu bekommen. Denn das ist eine Sache, die kostet die Stadt kein Geld.

Funck: Doch.

Schneider: Richtig ist, das die Lukom als städtisches Tochterunternehmen einen Zuschuss gewährt hat, aber darüber hinaus entstehen keine Kosten. Und wenn wir uns darüber unterhalten, dass für junge Leute zu wenig Angebote da sind, dann müssen wir bei so einer Sache gemeinsam an einem Strang ziehen. Der Rheinstrand ist am Veto der CDU-Oberbürgermeisterin gescheitert, weil das nach ihrer Ansicht den neuen Anwohnern am Rheinufer von der Lärmbelästigung her nicht zuzumuten ist.

Funck: Es ist schade, dass es den Rheinstrand nicht mehr gibt. Das Problem ist, dass die OB das Teil am Ende vertreten muss. Ihr Dilemma: Die Stadt versucht seit Jahrzehnten, hochklassige Wohnungen am Rheinufer zu entwickeln und sie für viel Geld zu verkaufen. Da wohnen zahlungskräftige Leute, die auch Einkommenssteuer zahlen sollen. Die kann man mit einem zugegebenermaßen sehr lustigen, aber auch sehr lauten Betrieb nicht vor den Kopf stoßen. Eva Lohse hat da auch eine Verantwortung.

Schneider: Das Argument mit dem Lärm kann ich nicht nachvollziehen, weil nebenan die Konrad-Adenauer-Brücke ist, über die Züge und wahnsinnig viele Autos rollen.

Grimm: Der Rheinstrand war eine Bereicherung. Es wäre schade, wenn die Diskussion einschlafen würde.

Wo seht Ihr euch in zehn Jahren?

Funck: Ich setze als ersten Karrierepfad nicht auf die Politik. Aber sie fasziniert mich, weshalb ich eine solche Laufbahn nicht ausschließe.

Schneider: Ich möchte mich nicht abhängig machen von der Partei und mein Studium abschließen. Was sich politisch ergibt, weiß man nie. Ich bin B-Kandidat bei der Landtagswahl – wenn ich ausschließen würde, jemals Berufspolitiker zu werden, hätten ich mich nicht beworben.

Grimm: Der Job geht vor. Wenn ich eine Karriereplanung habe, dann ist die beruflicher Natur. Aber ich halte mir die politische Option offen.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten einige Minuten Redezeit im Bundes- oder im Landtag. Was würden Sie sagen?

Schneider: Ich würde an die Politiker appellieren, die kommunalen Haushalte in Ordnung zu bringen. Zu Kanzlerin Angela Merkel würde ich sagen: bitte Mindestlohn.

Funck: Meine Rede würde im Landtag stattfinden und sich um den kommunalen Finanzausgleich drehen. Der Alleinregierung würde ich ins Gewissen reden, dass ihre zentralistische Politik, die viele Schulden produziert, keine Zukunftslösung ist.

Grimm: Ich würde den Politikern ins Bewusstsein rufen, dass es eine Genreration gibt, die die Folgen heutiger Politik erben wird. Und dass diese Generation sich nicht ernst genommen fühlt.

Rheinpfalz, 01.06.2010
Foto: Kunz

 

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